In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich interessante Funde gemacht – und wie es sich gehört für solche Fundstücke am Wegrand: sie sind einfach da, drängen sich nicht auf, warten geduldig, bis jemand vorüber kommt, dessen Blick vielleicht auf sie fällt, sie aufliest, in der Hand wiegt, sie von allen Seiten prüft – und sie dann mit sich nimmt oder wegwirft, so dass jemand anderer sie finden könnte.
Zufallsfunde also.
Ein erster: Eine kleine Notiz, die ich gemacht habe während eines Referats von Franz Schuh: “Die sanfte Härte einer genauen Beobachtung.” Sie ist letzthin zusammengetroffen mit einem kurzen Gedicht von Rainer Malkowski: “Einmal am Tag / wirklich sehen. / Im Ungefähren / ist das schon viel.” - Wirklich sehen, genau beobachten: Beides verlangt die ganze Aufmerksamkeit, vielleicht auch das, was man im Französischen contemplation nennt und was ein Autor wie Wilhelm Genazino aufs Wundervollste vormacht.
Ein zweiter: Wieder einmal und immer wieder neu: Peter Sloterdijk. Er begeistert mich auch mit seinem neuesten Buch Zeilen und Tage, das der Klappentext so vorstellt: „Über vier Jahrzehnte hinweg widmete sich Peter Sloterdijk Morgen für Morgen einem Tagebuch besonderen Typs: In linierten DIN A4 Heften hielt er handschriftlich fest, was ihm am vergangenen Tag aufgefallen war und was ihm bevorstand. Eine Veröffentlichung der Notate zog er nicht in Betracht. Durch dieses Schreiben-für-sich-selbst entstanden “datierte Notizen”, die intellektuelle Komödie und gesellschaftliche Tragödie miteinander verknüpfen. Ende des Jahres 2011 entschloss sich der Tagebuchschreiber, seine Notizen öffentlich zu machen: Er nahm sich Heft 100 aus dem Jahre 2008 vor und transkribierte seine Niederschriften, Zeilen und Tage, bis zum Mai 2011.“ – Was für eine Lebens- und Denklust! Welch immense Belesenheit! Was für eine grossartige Schreibkunst! Und eben habe ich Sloterdijk ein Referat ganz selbstverständlich in Französisch halten und auf Fragen dazu elegant antworten hören: auch das kann er. Wie sieht wohl seine Lebensorganisation aus?
Ein dritter: Ein Artikel aus der NYT: The Competing Views on Competition. Darin geht es um die Frage: „Is it better to teach children tough life lessons, like the thrill of victory is sweeter if you have known the agony of defeat? Or is it better simply to let a child win, and allow victory to be part of the fun? Is there a strategy that promotes happiness and performance, even if you’re only playing Candyland?“ - Qintessenz: Competition ja, aber am effektivsten im Teamwettbewerb. Und da am sinnvollsten, wenn ich meine Teammitglieder ermutige, ihr Bestes noch zu steigern. – Interessanterweise findet auch dieser Artikel eine Art Echo in einem langen Bericht im MAGAZIN vom letzten Samstag: Erwachsen mit Vier, der sich fragt, wieso französische Kinder so viel besser erzogen sind als zB. unsere hierzulande, sich zu benehmen wissen und zufrieden scheinen, obwohl sie weniger Aufmerksamkeit von Eltern und anderen Erwachsenen erhalten.
Zufallsfunde am Wegrand. Ich nehme sie mit, denn ihre Lektion bringt mich weiter:
- Sei achtsam, beobachte genau, nimm wahr!
- Lass dich inspirieren von Peter Sloterdijk, der dir vormacht, wie lustvoll wirkliches Sehen, Nachdenken und Formulieren sein kann. Wie belebend elegantes Philosophieren wirkt!
- Wundere dich immer wieder darüber, dass Kinder dich an den Rand von wesentlichen Fragen bringen. Sie wollen erzogen sein – aber wie? wohin? Und wie machen das die anderen (Kulturen)?
PS: Sloterdijks “Rede zur Freiheit”